Interrail in den 70ern

Das Interrailticket, ein europaweit gültiges Bahnticket, kostete damals für einen Monat 200DM. Heute kostet es 500€.

Im Sommer 1973 war ich gerade mal 15,5 Jahre alt, als mein Jugendfreund Ulli von Elben aus Salem und ich in die Welt loszogen. Mit Rucksack, 200DM und mit einer InterRail Zugfahrkarte für einen Monat. Es war schon verdächtig mit welcher Bereitwilligkeit die Eltern das Geld dafür locker gemacht haben, ‚Ja, ja, geht nur. Gibt es diese Karte auch für 3 Monate? ‘. Na ja, kann sie verstehen. Wer mag schon 15-jaehrige, pubertierende, pickelige, alles besser wissende und meistens schlecht gelaunte Jugendliche.

  • Geldsparlektion 01: Benimm dich schlecht, und dein Umfeld wird keine Kosten scheuen um dich loszuwerden.

Wenn die Jugendherberge für die Jugend zu teuer ist

Am ersten Tag fuhren wir mit dem Zug durch die Schweiz bis nach Genf. Das Gepäck verstauten wir in einem Schließfach im Bahnhof und zogen los um uns erstmals die Stadt anzuschauen und um einen Schlafplatz zu finden. Wie schaut man eine Stadt an? Wohngebäude, Bürogebäude, Bankgebäude (da ja Schweiz), undefinierbare Gebäude, Straßen, Brücken, Hotels, Restaurants (lecker aber zu teuer). Um die Schweizer zu erfreuen liefen wir mit lauten ahs… und ohs… herum und taten so als ob eine Gebäudewand etwas Besonderes sei. Jungs vom Lande halt. Und da plötzlich, da war sie. Die Jugendherberge. ‚Nein Jungs, wir sind schon ausgebucht. Aber für morgen könnt ihr noch zwei Plätze haben. Macht dann 40 Franken für jeden. ‘ Diese Gauner und Bergräuber. Das war der 10-fache Preis von dem was Jugendherbergen sonst kosteten. Jetzt wusste ich auch, dass die Rolex von dem Herbergsvater echt sein musste.

Zurück zum Bahnhof, es war schon längst dunkel und kalt. Und der Bahnhof mit unseren warmen Sachen drin war zu, abgeschlossen, alles dunkel. Der Ulli zog aus einer seiner Taschen eine Schachtel Zigaretten hervor. Wir saßen die ganze Nacht in irgendwelchen Hauseingängen und Ecken und haben gequalmt um uns innerlich zu wärmen. Irgendwann mal hielt ein Auto bei uns an mit ein paar Typen und die wollten uns zu einer Gay Party einladen. Ich zückte mein Taschenmesser und ließ es demonstrativ aufschnappen. Das war mein Beitrag zur Deutsch-Schweizerischen Freundschaft und so trennten sich unsere Wege wieder. Seitdem schauen sie mich an der Grenze zur Schweiz immer ganz böse an.

Obdachlos oder Interrail-Reisender?

Diese Nacht war eine der billigsten auf unserer Reise. Und das in Genf. Keine Übernachtungskosten und auch keine Essenskosten da unsere mitgenommenen Vorräte im Schließfach waren und die Restaurants nur auf Multimillionäre spezialisiert waren.

  • Geldspar-Lektion 02: Wenn du Hunger hast, dann toppe das Hungergefühl mit einem anderen ‚bad feeling‘, z.B. Frieren. Es hilft und der Hunger ist schnell vergessen.
  • Geldspar-Lektion 02A: Schaue dir dein Bankkonto an und du wirst feststellen, dass Mecklenburg-Vorpommern viel schöner ist als Genf, Zürich, Frankfurt oder München.

Pferde in Frankreich

Wir flohen aus Genf. Bis Lyon. Das ist nicht sehr weit. Ulli wollte die Weiterfahrt erst am nächsten Tag Richtung Avignon machen um die Camargue Pferde zu sehen, die angeblich links und rechts von den Bahngleisen dahingaloppieren sollten. Na gut Lyon halt. Die ahs… und ohs… mit denen wir auch die Franzosen beglücken wollten, blieben uns bei der Stadtbesichtigung im Halse stecken. So ein tristes Kaff. Am nächsten Tag, Tag der Pferde. Ulli spähte ununterbrochen nach draußen, aber kein verdammter Gaul ließ sich blicken.

Die investigativen Journalisten Lexi und Larry fanden nahe Lyon zwei eingezäunte Camargue Pferde. Kein Wunder konnten sie nicht neben unserem Zug dahin galoppieren.

Enttäuscht stieg er in Avignon aus wo wir zuerst im Stadtpark und als es anfing zu regnen, auf dem bequemen Marmorboden in der Bahnhofshalle übernachteten. Seid Genf hatten wir ein Jugendherbergstrauma. Erst in Séte gingen wir mal wieder in eine Jugendherberge. Da diese voll war, hatten sie noch große Zelte mit Stockbetten aufgestellt.

Cuisine de la rue

Doch von was lebten wir? Öffentliche Wasserspender gab’s an den meisten Bahnhöfen. Und wir hatten einen kleinen aufklappbaren Ofen dabei, einen Topf, Brennspiritus Würfel und eine ganze Menge Knorr Tütensuppen. In Séte am Strand wollten wir uns eine Suppe kochen, doch die einzige Flüssigkeit die es da zu kaufen gab war Wein. Na gut, statt Wasser, Wein halt. Die Wein-Tütensuppe war jedenfalls der Hammer. So was Leckeres hatten die bestimmt in ganz Genf nicht. Ulli und ich waren betrunken.

  • Geldspar-Lektion 03: Koche unterwegs auch mal selber. Und wenn du keine Lust auf große cuisine noblesse hast, dann mache Glühwein mit Knorr Frühlingssuppe. Dann hast du cuisine de la rue. Und schau dir ruhig die Camargue Pferde an, du kriegst was du bezahlst.

So ging es weiter und Ulli und ich waren echt kreativ. Wir haben oft im Zug kostenlos übernachtet. Die halbe Nacht in die eine Richtung, die andere Hälfte wieder zurück. Ja, wenn man nicht viel hat, ist es absolut ok alle Einsparmöglichkeiten zu nutzen. Und da ich die Hälfte der 200DM wieder mit heim brachte, könnt ihr meinen Spartipps ruhig glauben!

Doch ich denke, dass es was anderes ist wenn man etwas mehr Geld hat. Dann ist es nicht schlecht wenn man auch andere daran teilhaben lässt.

  • Geldspar-Lektion 04: Sparsam Ja. Geiz Nein.     

3 Gedanken zu “Interrail in den 70ern”

  1. Lieber Werner,
    ich musste mehrmals in mich hineinkichern als ich diesen Artikel gelesen habe, er ist sehr humorvoll geschrieben. Das Reisen im Low Budget Stil kein Zuckerschlecken ist, wird dadurch nochmal sehr deutlich. Dafür entstehen so die interessantesten Geschichten, die gewisse jed Strapaze wert waren.
    Ich glaube die Mecklenburgischen Seenplatten wären definitiv mal ein Besuch wert.

    1. Liebe Nadja, genau. Würde so gerne mal mit einem Hausboot da rum-schippern. Oder in der Uckermark mit einem Planwagen fahren. Ja, das ist mehr meine Kragenweite. Städte sind ja manchmal auch ganz ok aber die gleichen sich alle so sehr. Beton, Stein, Verkehr, gestresste Menschen, Lärm. Findest du in jedem Kaff mit mehr als 100000 Einwohnern. Hast du eine gesehen, kennst sie alle.

  2. So ein erfrischender Bericht! Mit einem Campergen ausgestattet konnte ich mich voll einfühlen, improvisieren ist Tagesordnung . Allerdings möchte ich die 4 Räder unter meinem Bett nicht missen!!!

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